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Deutschlandticket: Weiter Probleme bei Kauf und Kündigung
Erste Bilanz nach sechs Monaten Deutschlandticketpicture alliance/dpa Ob Tarifzonen, Tarifwaben oder Tarifbereiche - die unübersichtliche Struktur im öffentlichen Personennahverkehr können Millionen Fahrgästen seit einem halben Jahr egal sein. Mit dem Deutschlandticket haben sie seit Anfang Mai die Möglichkeit, für einen Pauschalpreis in den Bus oder Regionalzug zu steigen und so weit zu fahren, wie sie wollen. Ganz ohne Sorge, ob ihre Fahrkarte die richtige ist. 49 Euro kostet das Abo im Monat - noch. Obwohl sich alle freuen, dass das Ticket den ÖPNV stark vereinfacht hat, ist seine Zukunft ungewiss.
Nachfrage hat Plateau erreicht
"Das Deutschland-Ticket ist ein Erfolg", sagt Alexander Möller, ÖPNV-Geschäftsführer beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). "Die Kunden bekommen eine ÖPNV-Flatrate so günstig wie noch nie. Wir haben Kundenzahlen wie vor Corona, binden Kunden wie nie." Rund zehn Millionen 49-Euro-Abos gibt es dem Verband zufolge inzwischen. "Die Zahl ist recht stabil, auch wenn auf niedrigem Niveau weitere hinzukommen."
Erste Bilanz nach sechs Monaten Deutschlandticketpicture alliance/dpa Rund die Hälfte der Inhaberinnen und Inhaber kommt demnach aus bestehenden Abos, sind also keine neuen ÖPNV-Dauerkunden. Die andere Hälfte war bislang mit Einzelfahrscheinen oder Zeitkarten unterwegs. Der Verband wertet das als Erfolg. "Wir binden Kunden stärker an den ÖPNV durch diese Flatrate", betont Möller.
Eigentlich bräuchte es aus Sicht des VDV eine Debatte darüber, wie das Ticket weiterentwickelt werden soll. Noch immer fehle etwa eine Regelung für Universitäten und Studenten. Der Verband fordert zudem, dass auch die Mitnahme von Familienmitgliedern, Freunden oder Haustieren ermöglicht wird.
Deutschlandticket vor dem Aus? Der Streit übers Geld
Statt über solche Vorschläge zu diskutieren, streitet die Politik erneut übers Geld. Der Konflikt ist festgefahren. Im Kern geht es um die Frage, wer mögliche Mehrkosten des Deutschlandtickets trägt. Für 2023 ist geregelt, dass Bund und Länder Mehrkosten zur Hälfte teilen - von 2024 an ist das offen. Die Länder wollen, dass sich der Bund auch in Zukunft zur Hälfte an ihnen beteiligt. Bundesverkehrsminister Volker Wissing hat das abgelehnt. Er hatte zuletzt im Bundestag deutlich gemacht, dass es vorerst keine genauen Berechnungen der Mehrkosten gebe. Der VDV wiederum geht davon aus, dass die Verluste für die Branche in diesem Jahr wegen des Ticketstarts erst im Mai bei 2,3 Milliarden Euro liegen und für das ganze Jahr 2024 bei 4,1 Milliarden Euro. Bei insgesamt sechs Milliarden Euro öffentlichen Zuschüssen für 2023 und 2024 ergebe sich demnach unter dem Strich eine Finanzierungslücke von 400 Millionen Euro.
Eine Lösung wird nun bei Beratungen von Bundeskanzler Olaf Scholz mit den Regierungschefs der Länder am 6. November angestrebt. Wie diese aussehen kann, ist unklar. Bund und Länder könnten ein Bekenntnis abgeben, das Deutschlandticket nicht an der Frage von Mehrkosten scheitern zu lassen. Möglich wäre eine Erhöhung des Preises auf monatlich 59 Euro - das aber wäre eine unpopuläre Entscheidung. Ein Aus des Deutschlandtickets gilt als unwahrscheinlich. Zu groß wäre der Imageschaden für Bund und Länder.
Kauf und Kündigung bereiten weiter Probleme
Laut dem vzbv berichten Verbraucher noch immer von "erheblichen technischen Problemen" mit dem Angebot. Im Rahmen eines Verbraucheraufrufs seien bisher knapp 1000 Meldungen von Interessierten und Nutzern eingegangen, in denen sie Erfahrungen und Probleme mit Kauf oder Kündigung des Tickets schildern. Der vzbv fordert leicht verständliche und vor allem funktionierende Bestell- und Kündigungsprozesse. Zudem müsse der Kundenservice verbessert werden.
Für Deutschlandticket lassen Bürger das Auto stehenpicture alliance/dpa Fehlende Flexibilität bei Kauf und Kündigung, diskriminierende Bonitätsprüfungen, Inkasso statt Kundenservice, technische Fehler die Liste von Hindernissen beim Deutschlandticket werde immer länger. So gaben Verbraucher unter anderem an, dass beim Versuch, das Deutschlandticket online zu kaufen, teilweise mehrfach der Bestellprozess abbrach. Da sie keine Bestellbestätigung erhalten hatten, wiederholten sie die Buchung. Als Folge seien ihnen mitunter mehrere Deutschlandtickets in Rechnung gestellt worden unter identischem Namen und Adresse.
"Die Zeit für Anlaufschwierigkeiten ist vorbei. Die Verkehrsunternehmen müssen dringend nachbessern. Anbieter und Politik sind gefragt, das Deutschlandticket einfach nutzbar und zuverlässig zu machen", sagt vzbv-Vorständin Ramona Pop. Nutzer des Deutschlandtickets beklagen zudem, dass nach Software-Updates das Ticket plötzlich aus der App verschwunden gewesen sei und erst zu einem späteren Zeitpunkt wieder eingestellt werden konnte. Teilweise sei dies erst bei Fahrscheinkontrollen aufgefallen, was mitunter als Fahren ohne gültiges Ticket gewertet worden sei.
Fehlender Kundenservice bei Problemen
Ebenso kann die Kündigung des Deutschlandtickets laut dem Verband Verbrauchern vor verschiedene Probleme stellen. So funktionierte der Kündigungsbutton offenbar nicht immer. In anderen Fällen sei die schriftliche Kündigung nicht bestätigt worden. Doch auch bestätigte Kündigungen schienen kein Garant dafür, dass die Abbuchungen aufhören. So wurde beispielsweise berichtet, dass trotz Kündigung und nicht mehr bestehendem Abo mehrere Monate lang der Betrag weiter abgebucht worden sei. Teilweise sahen sich Verbraucher offenbar dazu gezwungen, ungerechtfertigte Abbuchungen wieder rückgängig zu machen.
Ein wiederkehrendes Ärgernis sei auch der Kundenservice. Berichtet wurde von Telefon-Hotlines, die durchgängig nicht erreichbar seien. E-Mails mit konkreten Problemen würden mitunter gar nicht oder nur mit wenig hilfreichen Standardtexten beantwortet. In einem Fall habe die betroffene Person gemeldet, dass es dem beauftragten Inkassounternehmen früher gelang, Kontakt aufzunehmen als dem Kundendienst.
Bemängelt werde unter anderem der Abo-Zwang und dass die Anbieter das Ticket teilweise nur digital für Smartphones anbieten. Zudem würde Bonitätsprüfungen in Einzelfällen zu Problemen führen. So sei einer Person der wiederholte Kauf nach einem Monat Pause aufgrund mangelhafter Bonität verwehrt worden, obwohl sie nach eigenen Angeben finanziell stabil aufgestellt war.
Was das Ticket gebracht hat
Immerhin fast ein Viertel der Bürgerinnen und Bürger hatte inzwischen mindestens für einen Monat das Deutschlandticket. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage des YouGov-Instituts im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur hervor. Diese macht deutlich: Die meisten Nutzerinnen und Nutzer verändern auch ihr Mobilitätsverhalten. So sind rund ein Drittel (33 Prozent) der befragten Abonnenten und Abonnentinnen insgesamt mehr unterwegs als zuvor. Fast ebenso viele (31 Prozent) lassen öfter das Auto stehen, seit sie das Deutschlandabo besitzen. Fast jeder zehnte Inhaber wiederum geht seltener zu Fuß oder fährt weniger mit dem Rad. 37 Prozent gaben hingegen an, ihr Mobilitätsverhalten nicht umgestellt zu haben.
"Wenn wir jetzt jedes Jahr neu über den Fortbestand sprechen, weil zwischen Bund und Ländern über die Co-Finanzierung gestritten wird, schrecken wir Kunden ab", betont VDV-Geschäftsführer Möller. Dabei war eines der erklärten Ziele der Bundesregierung, mit dem günstigen ÖPNV-Ticket möglichst viele Menschen vom Regional- und Nahverkehr zu überzeugen. Ihr Auto sollten sie dabei seltener oder gar nicht mehr nutzen.
Unterschiedliche Auffassungen gibt es darüber, ob das geklappt hat. Eine der wenigen zahlengestützten Aussagen dazu kommt erneut vom VDV. "Acht bis zehn Prozent der D-Ticket-Nutzerinnen und -Nutzer sind echte ÖPNV-Einsteiger, sind also vorher zum Beispiel Auto gefahren", ermittelte der Verband in Umfragen. "Schon heute wären fünf Prozent aller Fahrten mit dem Deutschlandticket sonst mit dem Auto unternommen worden." Deutschlandticket in der Apple WalletFoto: Apple, Montage: teltarif.de
Aus Umweltsicht ein Misserfolg?
Aus Sicht des Verkehrsforschers Christian Böttger von der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft ist das Ticket aus Umweltsicht trotzdem ein Misserfolg. "Das Ministerium hat an unterschiedlichen Stellen das D-Ticket mit Emissionssenkungen von drei bis vier Millionen Tonnen angekündigt", sagt er. Gehe man davon aus, dass 80 Prozent aller Fahrten im öffentlichen Verkehr mit dem Deutschlandticket erfolgten, komme man hingegen auf 0,4 Millionen Tonnen Einsparung.
Auch eine Einrichtung der Technischen Universität München hatte auf Basis von Handydaten und Befragungen im ersten Monat nach der Einführung nur einen geringen Verlagerungseffekt von der Straße auf die Schiene festgestellt.
Der Berliner Forscher Böttger hält das Ticket generell für unvernünftig. "Es gibt keinen Grund, die Mittelschicht im Speckgürtel zu subventionieren. Man verliert Steuerungsmöglichkeiten. Die Einnahmeaufteilung wird komplizierter." Die Vereinfachung beim Ticketkauf in unterschiedlichen Städten sei gut, lasse sich aber auch über andere Wege weiterführen.
Der Preis ist nicht alles
Immer wieder betonen Fachleute, dass der Preis nicht die einzige Stellschraube sein kann, um die Menschen vom Umstieg auf den ÖPNV zu überzeugen. Es braucht vor allem mehr und eine bessere Infrastruktur, um die steigende Nachfrage überhaupt bedienen zu können. Wer im Sommer das Deutschlandticket für Fahrten in Urlaubsregionen nutzte, steckte oft in überfüllten Zügen - oder konnte die Fahrt nicht antreten, weil fürs Fahrrad kein Platz mehr war. Aus Sicht des Interessenverbands Allianz pro Schiene braucht es insbesondere auf dem Land ein größeres ÖPNV-Angebot, damit das Ticket dort überhaupt genutzt werden kann.
Doch die Branche ist sich einig, dass es mit dem Angebot weitergehen muss. "Wir bleiben dabei: Das Deutschlandticket ist eine Revolution für den Nahverkehr", teilte Allianz-pro-Schiene-Geschäftsführer Dirk Flege seinerzeit mit. Ob es weitergeht, hängt nun vor allem davon ab, ob Bund und Länder zu einer Einigung kommen.
Provider wurden dafür kritisiert, dass sie keinen rechtskonformen Kündigungsbutton anbieten. Noch schlimmer ist es teils bei den Verkehrsunternehmen: Obwohl sie einen haben müssten, bieten sie keinen.
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