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Prepaid ohne Registrierung - (k)ein Problem?
Wer sich schon einmal eine Prepaidkarte gekauft hat, kennt die Prozedur zur Freischaltung. Je nach Anbieter und eigenen Möglichkeiten lästig und umständlich.
Verschiedene Freischaltverfahren
Im Idealfall schaut der Verkäufer im Laden gleich in den Personalausweis des Kunden und kann die Freischaltung sofort auslösen. In anderen Fällen muss der Kunde mit einem passenden Handy über eine extra zu installierende App einen Video-Agenten anrufen, bei hoffentlich ausreichendem Licht den Ausweis in die Kamera halten, kippen und drehen und wenden. Im Erfolgsfall leitet der Videoagent die Daten weiter. Nach 30 Minuten bis einigen Stunden ist die Karte dann (hoffentlich) aktiv.
Bei "Post-Ident" wird ein Papier ausgedruckt und unterschrieben, womit der Neukunde in einer "Post-DHL-Filiale" persönlich erscheinen muss. Nicht jede "Filiale" ist dazu berechtigt, denn diese "Filialen" werden längst nur noch von der Postbank (eine 100-prozentige Tochter der Deutschen Bank) oder von privaten Unternehmen (Tankstellen, Lebensmittelläden, Kiosken etc.) betrieben. Früher wurden die bestätigten Papiere dann per Briefpost oder Fax weitergeleitet, inzwischen soll das wohl auch elektronisch gehen.
Lange Rede kurzer Sinn: Die Aktivierung einer Prepaidkarte ist umständlich und zeitraubend. Wer anonyme Prepaid-Karten kaufen möchte, kann in diversen Shops oder im Netz fündig werden.Image licensed by Ingram Image
Geht es vielleicht auch anders?
Eine Reporterin der Wirtschaftszeitung Handelsblatt hat es ausprobiert.
Im ersten Laden wurde der Kauf einer "anonymen" Prepaidkarte korrekt verweigert. Im nächsten Laden, wo es "Shisha-Pfeifen" und anderes Zubehör zu kaufen gab, sei das kein Problem gewesen. "15 Euro bitte", ein kurzer Anruf des Verkäufers bei einer "Hotline", und alles war geklärt. Wie das Handelsblatt später herausfand, sei die Karte schon lange vorher auf eine möglicherweise gar nicht real existierende Person aus Indien registriert gewesen.
Was ist an anonymen Karten so problematisch?
Anonyme Karten sind für Mitmenschen interessant, die damit "Böses" im Schilde führen. Beispielsweise Schockanrufe an ältere oder hilfsbedürftige Menschen, denen schlimme Unglücksfälle oder Notfälle im Familienkreise vorgespielt werden, um dann über einen Boten Gelder oder Schmuck abzuholen.
Solche Karten werden bei der Organisation von Einbrüchen oder Überfällen gerne verwendet. Bis ein Staatsanwalt für diese Nummer eine Abhörerlaubnis erhält, sind diese Karten längst weggeworfen und durch neue ersetzt worden. Schlimmstenfalls bekommt die offiziell registrierte Person, die durchaus existieren kann, aber davon gar nichts weiß, "Besuch" mit peinlichen Fragen von der Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft.
Der teltarif.de Lesern als "Vodafone-Whistleblower" bekannte ehemalige Fachhändler Inan Koc berichtet, dass es "preiswerte Hotels" gäbe, deren Anmeldedaten gelegentlich zur Registrierung von Prepaidkarten genutzt würden, ohne Wissen der Betroffen, die meist aus dem Ausland nur kurz zu Besuch im Lande waren.
Anonyme Karten im Netz erhältlich
Man muss auch gar nicht in einen Shop gehen, eine einfache Internetsuche reicht. Eine Firma "Cocenter GmbH", die wohl eher als Briefkasten für allerlei "merkwürdige" Unternehmen dient, bietet z. B. 100 Stück "anonym registrierte Lyca-Karten" für ca. 240 Euro im Netz an.
Lyca(mobile) ist ein Unternehmen mit Sitz auf der "Insel der Hunde" im Londoner Hafen, die vor einiger Zeit ihre deutsche Filiale "aufgelöst" hat, weil es "Stress" mit dem deutschen Finanzamt gab. Lycamobile verwendet die Vorwahl 01521, die es von Vodafone Deutschland "ausgeliehen" hat; in Deutschland wird das Mobilfunknetz von Vodafone verwendet.
Weitere Kandidaten für "anonyme" Karten sind die Marken Ortel Mobile, Ay Yildiz oder Lebara, die im Netz von o2-Telefónica angesiedelt sind.
Telekom besser abgesichert?
Versuche, solche anonymen Karten im Netz der Telekom zu erwerben seien fehlgeschlagen, berichtet das Handelsblatt. Dort werde auf eine sehr aufwendige Identifizierung Wert gelegt, was uns Szenekenner, die schon einige Karten registriert haben, bestätigen. "Mir kam es so vor, dass bei Telekom Karten (auch von Discount-Anbietern im Telekom-Netz wie ja!mobil, congstar etc.) besonders genau hingeschaut wurde."
Koc lieferte Beweise: BNetzA verhängte Bußgelder
Inan Koc hatte nicht nur in unzähligen E-Mails das Unternehmen Vodafone auf Missstände bei bestimmten "Fachhändlern" hingewiesen, sondern informierte auch regelmäßig o2-Telefónica über aus seiner Sicht eklatante Probleme. Rund 70 Personen waren auf dem regelmäßigen E-Mail-Verteiler, wozu auch teltarif.de gehört.
Zum Beweis lieferte Koc 50 in verschiedenen Städten und bei verschiedenen Akteuren gekaufte, anonym registrierte SIM-Karten an die Bundesnetzagentur. Die seien vor dem Testkauf schon auf unbekannte oder möglicherweise nicht existierende Personen registriert worden. Die Bundesnetzagentur habe laut Handelsblatt diese Probleme bestätigt und an die beteiligten Netzbetreiber Bußgelder verhängt, in Höhe von etwa 30.000 Euro. Für die Kostenrechner bei den betroffenen Anbietern offenbar nicht sonderlich abschreckend.
Immer mehr Funkzellenabfragen
Das Handelsblatt weiß, dass 2012 etwa 7 Millionen Funkzellenabfragen im Zusammenhang mit Straftaten durchgeführt wurden, inzwischen seien es bereits 26 Millionen.
Beim Überfall auf das grüne Gewölbe in Dresden wurden anonyme Karten eingesetzt. Deren Spur habe zu einem Internet-Café in Berlin-Neukölln geführt, wo bei einer Razzia eine Unmenge weiterer Karten gefunden worden sei. Das Café habe so um die 20.000 Karten im Monat (!) umgesetzt, so das Handelsblatt.
Bei einem Drogenfund hätten neben kiloweise Marihuana noch einige anonyme SIM-Karten mit dabei gelegen. Die "Hauptverdächtigen" hätten 2000 Karten pro Tag verkauft. Dafür habe ein "ID-Emulator" (= KI-gestützte Software), fiktive, aber realistisch erscheinende Personen "erfunden".
Hohe Provisionen?
Der Verkauf von Prepaidkarten ist für die Händler offenbar attraktiv. Pro Karte würden 3-6 Euro Provision gezahlt, und bei jeder späteren Aufladung bekomme der ursprüngliche Händler nochmal Geld.
Legaler Kauf, Daten werden mehrfach genutzt.
Ein Ex-Mitarbeiter eines o2-Shops berichtete in dem Artikel, dass Kunden, die ein hochwertiges Telefon kaufen wollten, dazu überredet worden seien, noch eine oder mehrere Prepaidkarten auf sich zu registrieren. Das teure Nobel-Phone sei dadurch im Preis gesenkt worden.
Auch wer eine Karte legal erworben und brav registriert hat: Mit Hilfe von Fake-E-Mail-Adressen sei es möglich gewesen, bis zu 8 weitere Prepaidkarten auf diesen (ahnungslosen) Kunden zu registrieren, die dann für 100 Euro das Stück an Kunden aus fernen Ländern verkauft worden seien.
Gesetzeslage wird weiter verschärft
Bei terroristischen Aktivitäten waren meistens anonyme Prepaidkarten im Spiel, weswegen die Gesetzeslage seit 2021 nochmal verschärft wurde.
Inan Koc hatte schon früh auf Missstände bei der Kartenaktivierung hingewiesen und war deswegen von o2 sogar als "Berater" gebucht worden, doch es kam zum Streit. Weil Telefónica seinen "Berater" nicht über das weitere Vorgehen gegen betrügerische Händler informieren wollte, kündigte Koc seinen Beratervertrag und informierte die Öffentlichkeit (u. a. auch teltarif.de) über diverse Vorgänge.
Quelle des vollständigen Artikels:
https://www.teltarif.de/nr0/kriminalfaelle-anonyme-prepaidkarten-telekom-vodafone-o2/news/95969.html